Zur Ausstellung: Heinz Mack: Werke im Licht (1957 — 2017)
im Museum Ritter in Waldenbuch vom 8. MAI — 10. OKT 2021

Die Licht-zentrierten Werke von Heinz Mack sind Orte des Zwiegesprächs zwischen dem Materiellen und dem Immateriellen, zwischen dem Sichtbaren und Spürbaren, dem Denkbaren und Verhandelbaren. Mack verzichtet auf alles Gegenständliche und auf jede Form der Abstraktion in seinen 2d- und 3d- Bildwerken. Arbeiten wie „Transparenz und Strahlung II“ (2010),“ Ohne Titel“ (2009), „Ohne Titel“ (1977) oder „Ohne Titel“ (1964) sind eine Art Ereignisfelder, die dem Mäandern des Urmediums des Lichts zwischen Welt und Wahrnehmung nachgehen.

Von der Emanzipation des Lichts, in der sich das künstlerische Interesse von dem statischen Pigment auf das Prozesshafte des Lichts richtete, schrieb László Moholy-Nagy in dem 1925 verfassten Essay „Malerei, Fotografie, Film“1László Moholy-Nagy: Malerei. Fotografie. Film. Bauhaus-Bücher (Band 8).
München 1925 / Gebrüder Mann Verlag Berlin 1967.
. Er reflektierte zeitgenössische Entwicklungen in künstlerischer Forschung und Praxis, die nach dem Zweiten Weltkrieg fortgesetzt wurden. Ausdruck sind die Diskussionen, Arbeiten und Ausstellungen von Künstler_innengruppen von GRAV und ZERO, Grupo N und Grupo T in Europa und Lateinamerika, Light and Space in den USA, bis Gutai in Japan. Seit den 1960er Jahren haben Ausstellungen wie die „Documenta“ (1964, Kassel, Fridericianum), „The Responsive Eye“ (1965, New York City, Museum of Modern Art), „KunstLichtKunst“ (1968, Eindhoven, Vanabbe-Museum), „Lichtkunst aus Kunstlicht“ (2005/2006, Karlsruhe, ZKM), oder „Dynamo“ (2013, Paris, Grand Palais) Licht als Material und Medium der Kunst sichtbar gemacht. Die Ausstellungs-Serie „ZERO“ (2014/2015) in Amsterdam, Berlin und New York war eine der umfangreichsten Retrospektiven über das ZERO Netzwerk. In dieser Serie von Ausstellungen lässt sich nachvollziehen wie sich der Ausstieg aus dem Bild, die Idee des offenen Kunstwerks und das Interesse an den Betrachtenden als einer Vielzahl sehender Subjekte in den Kanon der Kunst eingeschrieben hat. Heinz Mack ist einer der bildenden Künstler, die diese kunsthistorische Entwicklung mitprägt.

Von der Auswahl des Materials über die Komposition des Objekts bis zur Position im Raum sind Macks Arbeiten wie ein Echolot konzipiert. Sie zeichnen die vorgefundene Lichtsituationen auf und wandeln sie in ein Bildwerk. Das Licht dient nicht der Hervorhebung einer Farbe oder spielt mit der Oberfläche einer Skulptur, sondern es wird integriert und mit ihm alles, was es im Spektrum des Sichtbaren mit sich führt. Oberflächen, Strukturen und Kanten werden zum graphischen Rohstoff, die optischen Eigenschaften der verwandten Materialien wie Brillanz oder Transparenz, Bündelung oder Brechung, Reflexion oder Absorption des Lichts zum bildnerischen Material.

Macks bevorzugte Materialien sind Aluminium, Edelstahl und Acrylglas. Die visuellen Charakteristiken von Aluminium und Edelstahl resultieren aus der geringen Eindringtiefe des Lichts und des Reflexionsvermögens, die für das schimmernde oder glänzende Erscheinungsbild verantwortlich sind. Wie die Metall-Werkstoffe ist auch Acrylglas ist ein High-Tech-Material. Der glasähnliche Kunststoff „Polymethylmethacrylat“ (PMMA)) aus der Gruppe der Thermoplaste ist aufgrund seiner guten Licht-, Alterungs- und Witterungsbeständigkeit und seines geringen Gewichts sowohl in Alltagsobjekten wie in der Luftfahrt und der Automobiltechnik im Einsatz.

“I actually use glass microspheres, or prisms that forge a triangular relationship between the painting’s surface, the light and the viewer. And at the middle of this is the viewer’s perception, which animates the work as they move and shift; so in that way, the art is really not on the wall at all, it’s in their perception.”2Nico Wheadon: Seeing Is Believing: An Interview with Mary Corse. 28 July 2015.
In: NOTOFU Magazine, Sommer 2016 Issue. 1. NOV 2018.
URL notofu.com/new/mary-corse/ >> 14 JAN 2021.

“Ich verwende … Glasperlen oder Prismen, die eine Dreiecks-Beziehung zwischen der Bildoberfläche, dem Licht und den Betrachtenden erzeugen. Im Mittelpunkt steht die Wahrnehmung der Betrachtenden, die das Werk durch ihre Bewegung und den Wechsel der Perspektiv animieren; auf diese Weise hängt die Kunst nicht wirklich an der Wand, sondern ereignet sich in der Wahrnehmung.“3Übersetzung: Bettina Pelz., beschreibt es Mary Corse (*1945). In den 1960er Jahren begann sie damit kleine Glaskugeln und prismatische Pigmente – wie sie bis dahin nur in Fahrbahnmarkierungen eingesetzt wurden – in ihre Farben zu mischen. Es entstand eine Vielzahl von konkreten Arbeiten, darunter eine Reihe von ausschließlich weißen Flächen, die je nach räumlicher Lichtsituation und Betrachtungsperspektive unterschiedliche Eindrücke von Farben und Formen erzeugen können. Mary Corse wie Heinz Mack zeigen auf ihre je verschiedene Art und Weise wie in dem, was wir als „weiß“ beschreiben das gesamte Farbspektrum enthalten ist.

“It is all about what these pieces teach you to receive about the surroundings”4Getty Conversation Institute: Helen Pashgian: Transcending the Material (2014). 1 AUG 2014.
URL youtube.com: SHj2vEPuelw >> 16 AUG 2020

Corse wie Mack kommen überwiegend auch ohne eigene Lichtquellen aus, Helen Pashgian (*1934). ist eine weitere Künstlerin mit vergleichbaren Ansätzen, alle drei sind Einzelgänger*innen und entwickelten ihre künstlerischen Positionen in ausgesprochener Unabhängigkeit. Seit den 1960er experimentieren sie mit optischen Materialien, die Ausdruck von Fortschritt in Technik und Industrie waren, bevor sie zum Material der Kunst wurden. Helen Pashgian entwickelt transluzente Objekte wie Scheiben, Säulen oder Kugeln aus Polyesterharzen, die in ihrem unbestimmbaren Innern weitere Objekte beherbergen. Je nach Lichtsituation erzeugt sich veränderliches Spiel von Licht und Schatten, Farben und Formen, von Innen und Außen, von Reflexion und Absorption. “Im Grunde geht es darum wie eine Arbeit uns seine Umgebung zeigt“5Übersetzung: Bettina Pelz., Pashgian betrachtet ihre Arbeiten als eine Art Möglichkeit, einen Ort und einen Moment zu erkunden.

In seiner Formsprache folgt Heinz Mack den strengen Geometrien des Lichts. Linien, Flächen, Schichten und Schliffe, Achsen und Aufbauten sind darauf angelegt, eine Bühne für die Performativität des Lichts schaffen. Sie bilden nicht ab, sondern bilden Strukturen, die eine ästhetische Situation generieren. In der Ausstellung zu sehen sind Werke wie die Skulptur „Ohne Titel“ (1977/2013), die Installation „Ohne Titel“ (1988 bis 2013) und die Stele „Ohne Titel“ (2007), an denen sich diese Überlegungen nachvollziehen lassen.

„Wenn man die Werke aller Künstler betrachtet, die direkt oder indirekt an Zero beteiligt waren, dann fällt auf, dass alle seriell arbeiten. Und keiner hat Komposition gemacht. Bei den Musikern dieser Zeit war es ganz genauso. Ob das John Cage war, Karlheinz Stockhausen, Steve Reich oder Philip Glass – bei allen finden Sie reine, serielle Strukturen! Das hat uns sehr elektrisiert, dass wir anstelle von Komposition nun Strukturen, Energiefelder, Raster und serielle Reihungen gebracht haben.“6Tim Ackermann: Zero: „Wir hatten einfach keine Vorbilder mehr“. Zeit Online. 31 März 2015.
URL zeit.de: zero-kunst-avantgarde >> 6. Dezember 2020.
, erklärt Heinz Mack im Rückblick. Die Objekte „Transparenz und Strahlung II“ (2010) und „Spiralstern“ (1997, Entwurf 1963) wiederholen Strukturen, und in den Objekten „Silber-Mond-Rotor“ (1971) und „Ohne Titel (II. Fassung)“ (2007) wiederholt sich das Bewegungsmuster. Arbeiten wie „Ohne Titel“ (1964) oder „Cinetic Garten“ (2001) liegt das Raster als kompositorisches Mittel zu Grunde. „Die Wiederholung einer gewählten Form in Varianten zeigen die Objekte „Ohne Titel“ (2014), „Ohne Titel“ (2009), und „Raum-Spirale“ (1994 bis 1995).

In der Art und Weise wie Mack die Wiederholung als Mittel der Gestaltung einsetzt, lässt sich als die Fortsetzung des transdisziplinären Austauschs denken, die zur Gründungszeit der Gruppe ZERO allgegenwärtig war. „Das (Arnold Schönberg, Pierre Boulez) waren Persönlichkeiten, die uns sehr beeindruckten. Dann wohnte ich Karlheinz Stockhausens Uraufführungen in seiner Privatwohnung bei …“7Robert Fleck, Antonia Lehmann-Tolkmitt: „Die Schönheit ist eine echte Kontroverse“. Ateliergespräche mit Heinz Mack (2017-2019).
In: Robert Fleck, Antonia Lehmann-Tolkmitt: Heinz Mack – Ein Künstler des 21. Jahrhunderts.
Hirmer Verlag München 2019. Seite 172.
und die anschließenden Diskussionen über Licht und Raum, Zeit und Wiederholung, Wahrnehmen und Erfahren führte zu experimentellen Kooperationen, z.B. von Stockhausen und Mack zur Weltausstellung in Osaka 1970.

In einem Essay über “Struktur und Erlebniszeit” beschreibt Stockhausen das Interesse an der musikalischen Serie: „Hören wir ein Musikstück, so folgen die Veränderungsprozesse rasch aufeinander. Einmal haben wir mehr Zeit, um Veränderungen zu erfassen, ein andermal weniger. Deshalb scheint alles, was sich unmittelbar wiederholt oder dessen wir uns erinnern können, schneller erfassbar als das, was sich verändert. Den Ablauf der Zeit erleben wir in den Intervallen zwischen den Veränderungen: Wenn sich überhaupt nichts ändert, verlieren wir die Zeitorientierung. So ist auch die Wiederholung eines Ereignisses eine Veränderung: es geschieht etwas – dann geschieht nichts – und wieder geschieht etwas. Selbst bei einem einzigen Vorgang erleben wir Veränderung: er beginnt und endet. Den Abstand zwischen Anfang und Ende nennen wir die Zeitdauer, die Distanz zwischen den Anfängen zweier aufeinanderfolgender Vorgänge den Einsatzabstand. … Bei allen Wahrnehmungen haben wir es immer nur mit unterschiedlichen Veränderungen bestimmter Strukturen zu tun … Eine Wiederholung hat somit den geringsten Grad der Veränderung, ein völlig überraschendes Ereignis den größten. … Bemerken wir am Ende eines Musikstücks – egal, wie lange es gedauert hat, ob es langsam oder schnell gespielt wurde, ob es sehr viele oder sehr wenige Töne gab -, dass wir “die Zeit vergessen hatten”, dann haben wir sie tatsächlich am tiefsten erlebt.”8Karl-Heinz Stockhausen: Struktur und Erlebniszeit. Seite 69.
In: Herbert Eimert unter Mitarbeit von Karl-Heinz Stockhausen: Die Reihe – Informationen über serielle Musik. Wien 1955. Seite 69 bis 79.
In der Perspektive der Wahrnehmung führt die einfache mathematische Gleichung „eins und eins“, nicht zu „zwei“, sondern zu etwas Anderem, potenziell Neuem. Es ist diese Art der dynamischen Verwebung von Sehen und Erleben, Erinnern und Erwarten, die es erlauben, die Arbeiten von Heinz Mack immer wieder neu zu sehen.

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    László Moholy-Nagy: Malerei. Fotografie. Film. Bauhaus-Bücher (Band 8).
    München 1925 / Gebrüder Mann Verlag Berlin 1967.
  • 2
    Nico Wheadon: Seeing Is Believing: An Interview with Mary Corse. 28 July 2015.
    In: NOTOFU Magazine, Sommer 2016 Issue. 1. NOV 2018.
    URL notofu.com/new/mary-corse/ >> 14 JAN 2021.
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    Übersetzung: Bettina Pelz.
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    Getty Conversation Institute: Helen Pashgian: Transcending the Material (2014). 1 AUG 2014.
    URL youtube.com: SHj2vEPuelw >> 16 AUG 2020
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    Übersetzung: Bettina Pelz.
  • 6
    Tim Ackermann: Zero: „Wir hatten einfach keine Vorbilder mehr“. Zeit Online. 31 März 2015.
    URL zeit.de: zero-kunst-avantgarde >> 6. Dezember 2020.
  • 7
    Robert Fleck, Antonia Lehmann-Tolkmitt: „Die Schönheit ist eine echte Kontroverse“. Ateliergespräche mit Heinz Mack (2017-2019).
    In: Robert Fleck, Antonia Lehmann-Tolkmitt: Heinz Mack – Ein Künstler des 21. Jahrhunderts.
    Hirmer Verlag München 2019. Seite 172.
  • 8
    Karl-Heinz Stockhausen: Struktur und Erlebniszeit. Seite 69.
    In: Herbert Eimert unter Mitarbeit von Karl-Heinz Stockhausen: Die Reihe – Informationen über serielle Musik. Wien 1955. Seite 69 bis 79.
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