Vom 4. Juni bis zum 11. Juli 2021 zeigt der Kunstverein Ingolstadt eine Ausstellung von Annika Hippler. Zu sehen sind Arbeiten aus verschiedenen Werkgruppen der Berliner Künstlerin. In ihrer Arbeitsweise folgt sie der forschenden Betrachtung des Zusammenspiels von Licht, Optik und Materie. Es geht um optische Phänomene und bildnerische Mittel, um chemische Interaktion und räumliche Resonanz, um Lichtzeichnung, Lichtbilder und Lichtinstallationen.

Der Titel „Heliotropium“ erinnert an einen Moment in der Wissenschaftsgeschichte, der eng mit Ingolstadt verbunden ist. Von 1610 bis 1617 war Christoph Scheiner Professor an der örtlichen Universität, er lehrte und forschte zu Mathematik und Astronomie, er beschäftigte sich mit Geophysik, Philosophie und Theologie. Ihn interessierten auch die Eigenschaften des Lichts, die Gesetze der Optik und er untersuchte die Funktionsweise des menschlichen Auges. Scheiner gehörte zu den ersten, die dunklere Stellen („Flecken“) auf der Oberfläche der Sonne beobachteten. Für ihn waren es Monde, die die Sonne umkreisen, Galileo Galilei hielt sie für Wolken, Johannes Fabricius erkannte, dass sie Teil der Sonne waren. Der wissenschaftliche Disput trug dazu bei, dass sich das heliozentrische Weltbild durchsetzen konnte. In diesem Sinne ist die Ausstellung eine Einladung zum unvoreingenommenen Beobachten.

Für die Ausstellung im Kunstverein hat Annika Hippler den Ausstellungsraum in einen hellen und einen dunklen Raum geteilt. Der eine Raum zeigt das Zusammenspiel von Licht und Schatten, und der andere thematisiert das Verhältnis von Licht und Farbe.

Die helle Kammer

Die sechs Luminogramme, die wir hier sehen, sind in den letzten fünf Jahren entstanden. Luminogramme zeigen, wie lichtempfindliches Papier auf Lichteinfall reagiert. Fotopapiere sind ähnlich aufgebaut wie Negativmaterial, dabei wird das transparente Trägermaterial – der „Film“ – durch Papier ersetzt. Der Künstler und Kunstwissenschaftler Gottfried Jäger beschreibt das Luminogramm als „die ursprünglichste Form der kameralosen Fotografie: eine Art Selbstdarstellung des Lichtes.“ Für die Entwicklung von Luminogrammen verwandelt sich das Studio der Künstlerin in ein alchemistisches Labor, in dem die Unikate entstehen, die der Zeichnung ebenso verbunden sind wie der Fotografie.

Luminogramme sind Handarbeit, sie entstehen in einer Folge verschiedener Prozesse, die alle das Ergebnis beeinflussen: Die Auswahl des Papiers und die Art der fotochemischen Beschichtung, die Wässerung, die Belichtung und die Trocknung. Annika Hippler fügt noch die Bewegung hinzu, ihre Luminogramme erzeugen sich in einem Moment, in dem sie Wasser bewegt und belichtet.

Annika Hippler. KUNSTVEREIN Ingolstadt 2021. Photo Hubert P. Klotzeck (35)_1600x1067
Annika Hippler. KUNSTVEREIN Ingolstadt 2021. Photo Hubert P. Klotzeck (39)_1600x1067
Annika Hippler. KUNSTVEREIN Ingolstadt 2021. Photo Hubert P. Klotzeck (33)_1600x1067
Annika Hippler. KUNSTVEREIN Ingolstadt 2021. Photo Hubert P. Klotzeck (31)_1600x1067
Danu | 2019 | Silbergelatine Handabzug auf Fotopapier | Photo: Hubert P. Klotzeck

Hipplers Lichtzeichnungen sind eine Art graphischer Dokumentation von Wellenbewegungen von Wasser im Moment der Belichtung. An der 3-teiligen Arbeit „Danu“ hat Annika Hippler 2018 / 2019 während einer Residenz in Wien gearbeitet, dort gab es ein Atelier, das ausreichend Raum für große Formate bot.

Annika Hippler. KUNSTVEREIN Ingolstadt 2021. Photo Hubert P. Klotzeck (33)_1600x1067
Annika Hippler. KUNSTVEREIN Ingolstadt 2021. Photo Hubert P. Klotzeck (34)_1600x1067
Annika Hippler. KUNSTVEREIN Ingolstadt 2021. Photo Hubert P. Klotzeck (34)
Shu | 2016 | Silbergelatine Handabzug auf Barytpapier (positiv) | Photo: Hubert P. Klotzeck

Während fast alle Luminogramme auf weißen Grund gearbeitet sind, ist die kleinste Arbeit als lichte Zeichnung auf schwarzem Grund ausgearbeitet. Der Moment des Aufleuchtens in der Dunkelkammer lässt sich in dieser Arbeit besonders gut erahnen.

Annika Hippler. KUNSTVEREIN Ingolstadt 2021. Photo Hubert P. Klotzeck (37)_1600x1064
Jazri | 2019 | Silbergelatine Handabzug auf Barytpapier | Photo: Hubert P. Klotzeck

Im Zusammenspiel von Licht, Wasser und Chemie entstehen Linien- und Formgebilde, die sich durch eine Vielzahl von grauen Farbtonstufen und einander überlagernden Schichten auszeichnen. Die Ephemere eines Bewegungsverlaufs übersetzt sich in Farbton-Verläufe. Dazu passt, was der Fotokünstler Otto Steinert (1915–1978) über die Entwicklung der künstlerischen Fotografie schrieb: „Die banalen und bloß schönen Bilder, die vor allem durch den durch den Charme eines konkreten Gegenstandes entstehen, treten in den Hintergrund zugunsten von Experimenten und neuen Lösungen in den Hintergrund. Erkundungen in dem Reich der Optik sind noch weitgehend unbeliebt. Aber nur die Fotografie, die das Experimentelle zu Hilfe nimmt, wird die technische Gestaltung des Seherlebnisses in unserer Zeit offenlegen.“

Annika Hippler. KUNSTVEREIN Ingolstadt 2021. Photo Hubert P. Klotzeck (36)_1600x1067
Pazuzu / Ninlil / Elil 2021 | Silbergelatine Handabzug auf Barytpapier | Photo: Hubert P. Klotzeck

Zur Erinnerung an den flüchtigen Moment ihrer Entstehung sind alle Luminogramme nach Winden benannt. Die drei neusten Arbeiten sind hier erstmals ausgestellt. Sie zeigen die besonderen Qualitäten schwarz-weißer Fotografie, die dem nahe kommen, was Hiroshi Sugimoto (*1948) über seine Serie “In Praise of Shadow” sagte: “Ich mag Schatten, deshalb bin ich Schwarz-Weiß-Fotograf geworden. Die Qualität des Schattens sagt etwas aus. Und die Qualität des Schattens ist etwas, das ich kontrollieren kann… die Tonalität von Dunkelheit zu Licht. Die Schwarz-Weiß-Fotografie ist das beste Medium, um das zu zeigen.” Seit mehr als 30 Jahren bereist Hiroshi Sugimoto die Welt, um Meeresansichten zu fotografieren. Sugimoto hat alle Fotografien identisch komponiert, der Bildaufbau orientiert sich an der Horizontlinie, die Meeresoberfläche erscheint still: “Jedes Mal, wenn ich das Meer betrachte, fühle ich ein beruhigendes Gefühl der Sicherheit, als ob ich meine angestammte Heimat besuche; ich begebe mich auf eine Reise des Sehens.” , schreibt er über diese Serie „Seascapes“. Dieses Prinzip künstlerischer Forschung mit einer Anordnung von Vorgaben eine Vielzahl von voneinander unterschiedenen Bildwerken zu entwickeln, entspricht der Arbeitsweise von Annika Hippler. Der immergleiche Aufbau ist die Grundlage für die Ausdifferenzierung in der Arbeit und die Ausarbeitung von Serien, die die vielfältigen Korrespondenzen von Licht, Bewegung und Materie zeigen.

Die dunkle Kammer

Annika Hippler hat Malerei in Berlin und Braunschweig studiert. Seit 2007 stellt sie regelmäßig aus, meist in Deutschland, u.a. auch im ZKM (Zentrum für Kunst und Medien) in Karlsruhe. Kontinuierlich ist sie auch an internationalen Ausstellungsprojekten beteiligt, u.a. in Litauen und Russland oder in Italien und Tunesien. Seit 2008 arbeitet sie dem Laserlicht als bildnerischem Medium.

Annika Hippler ist eine experimentierende Künstlerin. Sie entwickelt Versuchsanordnungen, nimmt Proben und modifiziert den Aufbau bis sie zu Sehenswertem gelangt. Auch Nan Hoover (1931-2008) gehört zu den Künstler_innen, die ihr Interesse an Malerei, Fotografie und Performativität zu der nachhaltigen Auseinandersetzung Licht als künstlerischem Medium motivierte. Sie beschrieb den Wechsel von der Malerei zum Arbeiten mit Licht – in ihrem Fall mit Fotografie, Video, und Lichtprojektion – wie folgt: „Die Videotechnik benutzte ich dann als Experiment für Licht und Bewegung … (mich) interessierte … das Aufbrechen der Isolierung, die in der Malerei geschieht, indem man die Dinge sich entwickeln läßt, wie sie kommen – ich habe z. B. nie Drehbücher gebraucht. Dennoch habe ich mich beiden immer genähert wie einer Zeichnung oder einem Gemälde: Arbeit mit den Materialien, mit Licht, und dann alles aus ihnen heraus entwickelt.“ Für Annika Hippler lässt sich diese Art der Prägung an Arbeiten wie „Helio“ nachvollziehen.

Annika Hippler. KUNSTVEREIN Ingolstadt 2021. Photo Hubert P. Klotzeck (50)_1600x1069
Helio | 2021 | Holzrahmen, Crêpe de Chine, Laser, Japanpapier, fluoreszierende Pigmente | Photo: Hubert P. Klotzeck

Die Arbeit „Helio“, die im Rahmen dieser Ausstellung erstmals öffentlich gezeigt wird, ist Teil einer Werkreihe, an der Annika Hippler seit 2016 arbeitet. Sie gestaltet mit Japanpapier, fluoreszierenden Pigmenten und mit Laserlicht hinter einer semi-transparenten Leinwand aus Crêpe de Chine. Statt auf der Leinwand – wie in der Malerei – bilden sich die Farbfelder hinter der Leinwand. Details sind nicht zu erkennen, es geht ausschließlich um Farbe, Form und Verhältnis.

Annika Hippler. KUNSTVEREIN Ingolstadt 2021. Photo Hubert P. Klotzeck (53)_1600x1067
Annika Hippler. KUNSTVEREIN Ingolstadt 2021. Photo Hubert P. Klotzeck (52)_1600x1069
405 nm – 780 nm | 2016 | Laser, fluoreszierende Pigmente | Maße variabel

Wie für alle Künstler_innen, die mit Licht als Material der Kunst arbeiten, spielt das Sehen für Annika Hippler eine besondere Rolle. Evolutionär betrachtet hat sich das Sehen als eine Art Anpassungsleistung an das Licht entwickelt und bis heute bestimmen die Lichtbedingungen die Sichtbeziehungen. Im engeren Sinne ist „Licht“ der für das menschliche Auge sichtbare Teil des elektromagnetischen Spektrums. Zwischen 405 nm und 780 nm liegt der Wellenlängenbereich, der beim Menschen Helligkeits-, Kontrast- und Farbempfindungen hervorruft. Die Arbeit „405 nm – 780 nm“ referenziert dieses Spektrum des Lichts.

Entlang eines schmalen Rechtecks hat Annika Hippler fluoreszierende Pigmente aufgeschichtet, die von Linienlasern zum Leuchten gebracht werden. Sie zeigen das gesamte Farbspektrum, aus dem sich weißes Licht zusammensetzt. Die Dichte der Pigmente und die Höhe der Pigmentschicht erscheinen unbestimmbar, es könnte nur ein Art Farbstaub auf der Oberfläche sein oder Farbanlagerungen, die im Boden versenkt sind. Das in der Höhe verborgene Laserlicht erzeugt hier einer Art Unbestimmtheit, die die Aufmerksamkeit des Sehens provozieren.

Annika Hippler. KUNSTVEREIN Ingolstadt 2021. Photo Hubert P. Klotzeck (58)_1600x1067
Annika Hippler. KUNSTVEREIN Ingolstadt 2021. Photo Hubert P. Klotzeck (54)_1600x1067
Annika Hippler. KUNSTVEREIN Ingolstadt 2021. Photo Hubert P. Klotzeck (57)_1600x1067
Annika Hippler. KUNSTVEREIN Ingolstadt 2021. Photo Hubert P. Klotzeck (56)_1600x1067
Annika Hippler. KUNSTVEREIN Ingolstadt 2021. Photo Hubert P. Klotzeck (30)_1600x1067
Annika Hippler. KUNSTVEREIN Ingolstadt 2021. Photo Hubert P. Klotzeck (59)_1600x1067
Annika Hippler. KUNSTVEREIN Ingolstadt 2021. Photo Hubert P. Klotzeck (55)_1600x1067
Annika Hippler. KUNSTVEREIN Ingolstadt 2021. Photo Hubert P. Klotzeck (47)_1600x1067
Annika Hippler. KUNSTVEREIN Ingolstadt 2021. Photo Hubert P. Klotzeck (45)_1600x1067
Annika Hippler. KUNSTVEREIN Ingolstadt 2021. Photo Hubert P. Klotzeck (51)_1600x1067
Annika Hippler. KUNSTVEREIN Ingolstadt 2021. Photo Hubert P. Klotzeck (44)_1600x1067
Annika Hippler. KUNSTVEREIN Ingolstadt 2021. Photo Hubert P. Klotzeck (43)_1600x1067
Annika Hippler. KUNSTVEREIN Ingolstadt 2021. Photo Hubert P. Klotzeck (42)_1600x1067
Annika Hippler. KUNSTVEREIN Ingolstadt 2021. Photo Hubert P. Klotzeck (48)_1600x1067
The fabric of the cosmos | 2018 | Laser, Stative, lichtleitendes Gewebe, Drehmotoren | Maße variabel | Photo: Hubert P. Klotzeck

Die Installation „The fabric of the cosmos“ nutzt den vorgefundenen Raum als Resonanzkörper. Die Leinwand ist hier ein lichtleitendes Gewebe, das in einer Art Röhrenabschnitte mit unregelmäßigen Konturen geformt ist. Montiert auf Stativen, kreisen die acht Objekte um einen je einen, grünen Laser. Das Laserlicht verfängt sich in dem Gewebe und generiert eine schimmernde Oberfläche, die sich mit der Drehbewegung kontinuierlich ändert. In ihrer Zusammenschau bilden sie eine Art Lichtschein, der in einen Fluss von Punkten und Linien übergeht, die von Punktlasern und Lichtgeweben in den Raum geworfen werden.

Die Arbeiten von Annika Hippler sind autopoietisch: Aus dem Altgriechischen: „autos“, zu Deutsch „selbst“, und „poiein“ für „schaffen, bilden, bauen“ meint autopoietisch den Prozess der Selbst-Bildung und -erhaltung eines Systems. Der von dem Neurobiologen Humberto Maturana geprägte Begriff wird heute in vielen Gebieten wissenschaftlichen Schaffens angewandt. In den 1960er Jahren gehörte Adolf Luther (1912-1990) gehörte zu den ersten Künstler_innen, die Laserlicht zum Material der Kunst machten. Glas, Metalle, Spiegel, Linsen, Laser und Nebel gehörten gleichermaßen zu seinen Mitteln. In der kinetischen Installation „Laser-Raum“ (1970) trifft ein Laserstrahl auf eine sich langsam drehende Plexiglasscheibe, die mit einem Flachspiegel verbunden ist, und löst sich in linienförmige Strahlen auf, die sich im Raum plastisch artikulieren. Sie werden getragen durch feinen Nebel, der sich im Raum verteilt. Luther wie Hippler interessiert das systemische Verhalten des Lichts im Raum.

Annika Hippler (*1978) begann 2007 mit dem Laser zu arbeiten, inzwischen hat sie eine Vielzahl von Arbeitsweisen entwickelt, über die diese Ausstellung einen Überblick gewährt. In der Installation setzt sie auf Laserlicht als Projektionslicht zum Dialog mit einem vorgefundenen Raum. In der Fotografie verzichtet sie auf die Kamera und zeigt die unmittelbare Einwirkung des Lichts auf Papier. Im Sinne der Malerei zeigt sie Laserlicht in Interaktion mit Farbpigmenten. Sie lenkt den Blick auf das Material, legt es offen und zeigt das Zusammenspiel. Die Werke von Annika Hippler sind Konkretionen von in den im Licht enthaltenen bildnerischen Möglichkeiten. Es geht nicht um Ähnlichkeit oder Abbildung von etwas Anderem oder auch nicht um den visuellen Ausdruck eines gedanklichen Konstruktes. Sie sind – im besten Sinn des Wortes – eine Erfindung. Sie sind nicht die Abstraktionen von Etwas, sondern etwas Neues. In diesem Sinne lassen sich die hier vorgestellten Arbeiten auch als Projekte der konkreten Kunst betrachten, ganz im Sinne Max Bills: „lhre Gestaltungsmittel sind die Farben, der Raum, das Licht und die Bewegung.“

FEATURED IMAGE: Hubert P. Klotzeck

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