Seit 15 Jahren arbeiten Eva-Maria Joeressen und Klaus Kessner zusammen. In ihren ortsgebundenen Arbeiten entwerfen sie Bild-Klang-Kompositionen. Sie reagieren auf eine Situation, die sich aus topografischen Spezifika eines Ortes, architektonischen Aspekten und assoziierten Erfahrungs-, Bedeutungs- und Sinnzusammenhängen zusammensetzt. Sie gehen der Vielschichtigkeit eines Ortes nach, um das Offensichtliche wie das Übersehene, Eingeschriebenes wie Adaptiertes, Erkennbares oder Codiertes zu reflektieren. Anhand ihrer Beobachtungen und Fundstücke generieren sie Datensysteme, die Bild- und Klang-Projektionen steuern und in Echtzeit angewandt werden.

Mit den Worten des Medientheoretikers Siegfried Zielinski lässt sich ihre Arbeitsweise als „Kartografie des technischen Visionierens, Lauschens und … Kombinierens“1Siegfried Zielinksi: Archäologie der Medien. Rowohlt Verlag Reinbeck 2002. Seite 5. beschreiben. Licht und Schall sind die Medien, die joeressen+kessner nutzen, um Räume auszuloten ebenso wie um sie zu überschreiben. Als schwingungsbasierte Medien beziehen diese sich immer auf ein Gegenüber als Reflexionsgrund und Resonanzraum. Dies ermöglicht eine Art der Raumerschließung, in der die sichtbaren und unsichtbaren Wirkkräfte ebenso wie die hörbaren und nicht-hörbaren thematisiert werden können.

Der Dialog

Bild und Klang sind für joeressen+kessner gleichberechtigte Medien. Die Entwicklung von dialogischen Formprinzipien als Handlungsanweisung offener Rechenprozesse für den Entwurf von Bild-Klang-Räumen zeichnen die Arbeiten aus. In der transmedialen Arbeitsweise geht es nicht um synästhetische Äquivalente, sondern um Betrachtungsweisen, mit den Interferenzen von Bild und Klang nachgehen.

Der Ort

joeressen+kessner arbeiten fast ausschließlich ortsgebunden. Sie beziehen sich auf die vorgefundene Architektur sowie die räumlichen und materiellen Bedingungen der Licht- und Schallbewegungen. In der Entwicklung ihrer Interventionen arbeiten sie an maßstabsgerechten Modellen, um die Auseinandersetzung mit Baustrukturen und Formprinzipien in ihrer Wechselwirkung wie in ihrer ästhetischen Dimension analysieren zu können, sodass die Produktionsphase vor Ort vorrangig durch die Präzisierung gekennzeichnet ist.

joeressen+kessner. LICHTUNGEN Hildesheim 2015. Photo Sara Foerster
Margareta Hesse. GOLDSTUECKE Gelsenkirchen 2022. Foto Martin Schmuedderich (58)
Annika Hippler. KUNSTVEREIN Ingolstadt 2021. Photo Hubert P. Klotzeck (34)
Annika Hippler. KUNSTVEREIN Ingolstadt 2021. Photo Hubert P. Klotzeck (59)_1600x1067
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joeressen+kessner. LICHTUNGEN Hildesheim 2015. Foto: Sara Foerster.

Die Daten

In der audiovisuellen Medienkultur des 21. Jahrhunderts sind Audio- und Videodaten an die gleichen Informationsträger gebunden und auf beliebige Weise verknüpfbar. Die tradierte Trennung zwischen Entwicklung, Produktion und Aufführung wird aufgehoben und Aufzeichnungen, Notierung und Abbildung werden in Echtzeit moduliert.

Diese Option für die künstlerische Synthese im digitalen Raum nennt Ron Ascott – in Anlehnung an den von Richard Wagner geprägten Begriff des „Gesamtkunstwerkes“ – als „Gesamtdatenwerk“2Roy Ascott: Is There Love in the Telematic Embrace, 1990. In: Randall Packer, Ken Jordan (Hg.): Multimedia. From Wagner to Virtual Reality, New York-London 2001, Seite 307.. Dabei steht es den Autor_innen offen, Informationen über eine Klaviatur, eine Tastatur oder via MIDI/OSC-Protokolle hinzuzufügen. Dabei findet im Prozess der Codierung ein kontinuierlicher Wechsel zwischen Analyse, Auftrag und Ausdruck statt und Programmierumgebungen wie Max/MSP oder SuperCollider integrieren Klang- und Partitursynthese in einem System.

Bildsysteme, wie wir sie aus Film, Video und Animation kennen, entstehen auf Hochleistungscomputern. Sie werden getrennt erzeugt, beleuchtet, gerechnet, nachbearbeitet und geschnitten, bevor sie zur Ausstrahlung kommen. Anders in Echtzeitprozessen – hier entstehen performative Systeme, die im Moment der Aufführung gerechnet werden und während der Laufzeit sich kontinuierlich erneuern.

Die Entwicklung

In der künstlerischen Auseinandersetzung von joeressen+kessner werden die Formatierung dieser Prozesse und das Spiel mit offenen Mengen an Informationen und Daten zu einem Kompositionsprozess, in dem sie die Einsichten über den Ort und sein Interieur mit ihrer künstlerischen Vorstellung verweben. Ausgangspunkt der Arbeit von joeressen+kessner ist die untersuchende Betrachtung.

Zu Beginn eines Entwicklungsprozesses – im gemeinsamen Sondieren und Nachdenken, im Gespräch, im Experimentieren und Erproben und unter verschiedenen Gestimmtheiten – erzeugen sie eine Multiplizität von Ideen, Bildern und Strukturen für den ausgewählten Ort. Sie bilden ein Netz miteinander verbundener Pfade und Spuren, die sich einander überlagern und immer wieder verzweigen. Entlang der Kreuzungspunkte der verschiedenen Ansätze entsteht eine temporäre Stabilität und es ist Teil ihrer künstlerischen Strategie, nach diesen Knotenpunkten zu suchen.
Beziehungen zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Forschung und Darstellung, Evidenz und Öffentlichkeit werden dabei neu bestimmt. Sie experimentieren so lange, bis sich ein Bild- und Klanggeschehen einstellt, dass der künstlerischen Forschung zur Anregung und Inspiration wird. Es verliert sich der theoretisch-konzeptionelle Ansatz und das ästhetische Geschehen übernimmt die Regie. So entstehen Performative, die Orte, Räume und audiovisuelle Zusammenhänge anders systematisieren.

Der Prozess des Erkundens und Entwickelns changiert ständig vom Konkreten zum Allgemeingültigen, vom Spezifischen zum Grundlegenden, von Praxis zu Theorie und vice versa. Besonderes Augenmerk von joeressen+kessner gilt dem Prozess, wie ein Inhalt zu einem Zeichen wird, wie sich das Medium verhält, das das Zeichen transportiert und wie die Beschaffenheit des Erscheinungsraums Einfluss nimmt auf die Figuration des Zeichens. Sie betrachten Zeichen als abstrakte Einheit, in der formative und assoziierte Bedeutungen wechselseitig aufeinander bezogen sind. Wo sie zur Konvention werden und sich in ein System einreihen, entsteht Ausdruck, Sprache und Wissen und in der Art und Weise, wie sie es tun, artikuliert sich Ästhetik.

Das Programm

joeressen+kessners Zeichensätze aus Licht und Bild, Klang und Code werden als Texturen für Kubaturen und Kompositionen für Räume umgesetzt. Ihre Programme sind Handlungsanweisungen für sich selbstorganisierende Prozesse. Diese entfalten sich als autonome Bewegungen, die sich an die je aktuellen Raum-Zeit-Bedingungen anlagernd. Dabei verzichten sie auf vorprogrammierte Standards ebenso wie auf jede Form von Presets und Plugins für ein höchstmögliches Maß an künstlerischer Autonomie. In der Programmierung von generativen Prozessen werden „Command and Control“ durch „Networks of Influences“ ersetzt. In dieser Art von Kunstwerken richtet sich das künstlerische Interesse auf die Prozesse, die zu komplex sind, um sie vollständig zu analysieren und die sich erst in der Interaktion nach und nach erschließen lassen.

Die Installation

In den Arbeiten von joeressen+kessner artikuliert sich eine ästhetische Position, die in ihrer Eigenständigkeit fasziniert. Ihre Arbeiten sind Bild-Klang-Kompositionen an ausgewählten Orten. Der Ort wird zum Teil ihres künstlerischen Materials – in einer Art und Weise, wie sie sehr selten anzutreffen ist. Analog zu Arbeitsformen digitaler Archive befragen und reflektieren sie Erscheinungsformen und Sinnverwandtschaften in einer Form einer „Semantic Map“3Vgl. Netzspannung.org – E-Teachung Plattform und Online-Archiv für Medienkunst: Das Semantic Map Interface, 26. August 2005. URL http://www.netzspannung.org/about/tools/semantic-map/ >> 12. Juli 2014. Ihre Betrachtung richtet sich auf die architektonischen, (klang-)bildlichen Zeichen-Qualitäten ebenso wie auf sozial- oder kulturgeschichtliche, künstlerische oder kunst-/musik-wissenschaftliche Aspekte. Diese bilden den Referenzrahmen für ihre Kompositionen. Sie vernetzen Inhalte in einem audiovisuellen Bezugssystem, das sich – via Projektion – in den analogen Status quo einschreibt. Die Implementierung der digitalen Dimension geht einher mit Entgrenzungen und Auflösungen, die die Neuordnung von Zeichen, Zeichensatz und Zeichenqualität zulassen.

Der physische Ort wird von einem architektonischen, räumlichen und zeitlichen System zu einem Netzwerk audiovisueller Beziehungen. In dieses dynamische Gefüge sind die Hör-, Seh- und Denkbewegungen der Künstler_innen als ein Ariadnefaden eingefügt, um vertraute wie vergessene, historische wie zeitgenössische Zusammenhänge zu rekapitulieren. Es entstehen ortsgebundene Interventionen, die Wahrnehmen, Verstehen und Kategorisieren dieses Ortes in einer neuen Qualität ermöglichen und die zugleich als audiovisuelle Werke Ausdruck außerordentlicher visionärer Autonomie sind.

TEXT
Bettina Pelz (2015/2023)

FEATURED IMAGE
joeressen+kessner. LICHTUNGEN Hildesheim 2015. Foto: Sara Foerster.

LINKS

joeressenkessner.de
vimeo.com

FUSSNOTEN

  • 1
    Siegfried Zielinksi: Archäologie der Medien. Rowohlt Verlag Reinbeck 2002. Seite 5.
  • 2
    Roy Ascott: Is There Love in the Telematic Embrace, 1990. In: Randall Packer, Ken Jordan (Hg.): Multimedia. From Wagner to Virtual Reality, New York-London 2001, Seite 307.
  • 3
    Vgl. Netzspannung.org – E-Teachung Plattform und Online-Archiv für Medienkunst: Das Semantic Map Interface, 26. August 2005. URL http://www.netzspannung.org/about/tools/semantic-map/ >> 12. Juli 2014.
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