Entdeckungen beim Nachdenken über die Werkzeugkiste von Ingo Wendt

_ Ingo Wendts Arbeiten profitieren von Lust am Experiment und von viel Lebenserfahrung, von Know-how und Freude am Spielen, von Neugierde und Weltzugewandtheit. Er arbeitet entlang der Dehnungsfugen von Tatsachen und Technik. Er sammelt Himmelslicht auf Spiegelfolie oder projiziert Schattenfiguren auf Raumwände. Zu seinen aktuellen Werken gehören ein Seifenblasen- und ein Konfetti-Projektor, ein Ornamentgenerator und ein Farblicht-Chronotop.

Er hat immer eine Idee und das Engagement, diese umzusetzen. Er kennt sein Material und er weiß, was seine Technik kann. Er ist immer perfekt vorbereitet – meist so gut, dass er auch anderen noch aushelfen kann. Seit sechs Jahren arbeiten wir regelmäßig zusammen, u.a. an der HBKsaar, bei INTERFERENCE in Tunis und zu den LICHTROUTEN in Lüdenscheid 2018.


LICHTROUTEN Lüdenscheid 2018. Photos: Jennifer Braun.

Geboren ist er in den 1960er, modisch sozialisiert in den 1980er Jahren. 1986 hat er seine Lehre als Tischler abgeschlossen. Nach der Geburt seiner Kinder hat er in seinem Beruf gearbeitet und 1995 eine Weiterbildung zum Holztechniker absolviert. Später studierte er an der Hochschule für Bildende Künste in Saarbrücken, zunächst Produktdesign (Diplom: 2004) und dann freie Kunst (Diplom: 2007). Kurz vor Abschluss seines Studiums besuchte er die Ausstellung „Lichtkunst aus Kunstlicht“ im Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) in Karlsruhe. Die Ausstellung zeigte die große Bandbreite aktueller künstlerischer Positionen, die elektrisches Licht als Material oder Medium nutzen, erstmals in einem Museumskontext. „Der Besuch von “Lichtkunst aus Kunstlicht“ war wichtig. Dort hatte ich das Gefühl auf dem richtigen Weg zu sein“_1, sagt Ingo Wendt im Rückblick.

Inzwischen unterrichtet er seit zehn Jahren an „seiner“ Hochschule in Saarbrücken. Seit 2011 leitet er das Lichtlabor und unterstützt Studierende bei der Entwicklung und Umsetzung von Licht- und Medien-basierten Arbeiten. „Im Unterricht transportiere ich meine Erfahrung und die Begeisterung fürs Medium, bekomme aber auch Anregungen von den Studierenden“, erzählt er. Regelmäßig ist er an Ausstellungsprojekten beteiligt, die Daniel Hausig gemeinsam mit Studierenden der HBKsaar realisiert, z.B. 2016 an der Ausstellung „Switch“ im Zentrum für Internationale Lichtkunst in Unna. „Seit vielen Jahren bin ich im engen Kontakt mit Prof. Daniel Hausig und ich schätze den wertvollen Austausch und seine konstruktiven Impulse“.

Fast unermüdlich entstehen in seinem Atelier ungewöhnliche Konstrukte, mechanische Anordnungen und kinetische Systeme, die Lichtverteilung und Bildgebung steuern. „Eigentlich arbeite ich allein, aber in Projekten oder Gruppenausstellungen wie bei INTERFERENCE in Tunis oder den LICHTROUTEN in Lüdenscheid bin ich auch immer gerne aktiver Teil der Gemeinschaft“, beschreibt er sich.

Als Einzelkünstler war er bis vor einigen Jahren vor allem an lokalen und regionalen Ausstellungsprojekten im Rhein-Neckar-Raum beteiligt, u.a. an der LUMINALE in Frankfurt (2006 / 2008). Auf die Einladung zu dem internationalen Licht Kunst Projekt INTERFERENCE in Tunis 2016 folgten in den letzten Jahren eine Reihe von internationalen Ausstellungsprojekten im In- und Ausland, zuletzt war er auf dem MEDIA ART FESTIVAL FRIESLAND in Leeuwarden vertreten. „Diese Einladungen sind praktisch gesehen stets eine große Motivation für neue, für weitere Arbeiten“, sagt er, „und im Laufe der Zeit habe ich gelernt, dass es mehr als eine Art von Erfolg gibt, denn es ist wirklich ein gutes Gefühl solche Ausstellungsprojekte mitgestalten zu dürfen.“


INTERFERENCE Tunis 2018. Photos: Jennifer Braun.

Sein Atelier liegt in Ebertsheim, eine Autostunde südlich vom Frankfurter Flughafen und eine Autostunde östlich der HBKsaar. Dort lebt und arbeitet er seit über 20 Jahren. Hier entwickelt und experimentiert er, hier sammelt und sortiert er, baut Prototypen und bereitet Ausstellungsbeteiligungen vor. „Gute Gefühle und gute Arbeiten gehören irgendwie zusammen. Am Einfachsten ist es, wenn ich gut vorbereitet bin. Für fast alles gerüstet zu sein heißt oft auch Stress zu vermeiden. Gute Assistenz ist auch wichtig, so wie bei INTERFERENCE in Tunis beim Realisieren der “Kunst aus dem Koffer”, oder bei den LICHTROUTEN in Lüdenscheid, wo ich bei dem etwas mühsamen Aufbau einer großen Arbeit im Kirchenturm passende Hilfestellung bekam. Aber das funktioniert nur dann, wenn Helfer wirklich aufmerksam und engagiert sind. Nicht selten sind gute Assistenten selbst auf einem eigenen kreativen Weg“.

Sein Atelier ist eher ein alchemistisches Labor als eine Denkfabrik. Dort steht ein Radio, meist läuft „SWR2 Kultur“, oder der Plattenspieler, es gibt ein paar analoge Dia- und auch zwei legendäre Pani-Projektoren, außerdem diverse Overhead-Projektoren, eine große Kiste mit Leuchtmitteln und eine noch größere von Werkzeugen, dazu noch diverse Maschinen. Eigentlich fast überall liegt Material und im Kühlschrank lagert ein Pfälzer Riesling. „Platz ist das Wichtigste in meiner Werkstatt. Ist dann noch Zeit da, muss es nur noch warm sein“, Ingo Wendt schafft sich einen Rahmen, in dem er vor- und nachdenken, experimentieren und improvisieren kann. Er ist ein Tüftler und Erfinder. „Ich suche nach einfachen Lösungen, experimentell und bin immer bereit noch einmal den Restknopf zu drücken ….“, beschreibt er seine Arbeitsweise, “ich beschäftige mich mit natürlichen Phänomenen und bin quasi deren Dompteur”.

Mit dem Schweizer Jean Tinguely (1925-1991) teilt er das Interesse an der mechanischen Bewegung. “Als Künstler fühle ich mich wieder dazu verurteilt, etwas beweglich zu machen, ich bin aber nicht ständig unter Druck. Ich kann mich dem auch entziehen, indem ich plötzlich Apparate baue, die rein spielerischen Charakter haben, die nur noch luschtig sind.“ _2, sagte Jean Tinguely, das Zitat könnte aber auch von Ingo Wendt stammen. Mitte der 1950er Jahre begann Tinguely mit der Produktion einer Reihe von generativen Werken mit dem Titel „Métamatics“. Es waren maschinen-ähnliche Systeme, die abstrakte Zeichnungen generierten. Darunter waren kleine Formate, aber auch solche für den Außenraum wie zur Biennale in Paris 1959. Ingo Wendts mechanische Systeme sind lichtbildnerische Getriebe, die analoge Bilder erzeugen. Statt Zeichnungen generieren sie meist abstrakte Farbfeldkompositionen. Statt Leinwand oder Papier suchen sie den Dialog mit ausgewählten Umgebungsräumen. Sie sind eine Art metamatische Lichtmaschinen.

Ich habe ihn gefragt, welche künstlerische Positionen ihn geprägt haben und zu meiner Überraschung sprach er als erstes von dem amerikanischen Künstler Gordon Matta-Clark (1943-1978): „Gordon Matta-Clark repräsentiert für mich Punk, und subversive urbane Kultur als künstlerische Ausdrucksform. Setzen des Gegenpols, zerstören als kreativer Akt, umformen und neue Einblicke schaffen. Das sind Dinge, an denen ich mich schon in meiner Kindheit in der Industriestadt Ludwigshafen abgearbeitet habe.“ Ausgebildet als Architekt widmete sich Gordon Matta-Clark als Künstler monumentalen Einschnitten und Öffnungen von Wänden verfallender Gebäude in New York, New Jersey, Chicago und anderswo. Die verlassenen Gebäude waren sein Rohstoff und durch seine Interventionen verwandelten sie sich in großformatige Skulpturen. Begeistert von Anthony McCalls Film „Line Describing a Cone“ (1973), realisierte Gordon Matta-Clark eine massive Intervention für die Pariser Biennale 1975. Das Werk bestand aus einem Kegel, der aus zwei verfallenen Gebäuden aus dem siebzehnten Jahrhundert im Stadtgebiet Les Halles – Plateau Beaubourg ausgehöhlt wurde.

Anthony McCalls Film ist eine Hommage an das Licht eines Filmprojektors und dessen skulpturale Qualitäten. Auch wenn Ingo Wendt sich mit Architektur befasst, basieren seine Ideen meist auf klugen Beobachtungen von Lichtverhalten. Seine Eingriffe beschränken sich auf Projektionen, die vorgefundene Architekturen in ihrer Erscheinungsform temporär verändern. 2014 war er an dem „Light-Act-Project“ an der Berliner Promenade in Saarbrücken beteiligt, 2017 und 2018 an den Kooperationsprojekten der Hochschule für Bildende Künste HBKsaar und der Hochschule für Musik mit den Titeln „Rotationen“ und „Revolver“. In allen drei Saarbrückener Projekten ging es um großformatige, künstlerische Interventionen für Architektur- und/oder Stadträume. Er bespielte die Gebäudehüllen mit abstrakten Farbfeldkompositionen, mal mechanisch animiert, mal digital. „Ich mag es, mich mit Architektur zu befassen oder den Spuren der Zeit nachzugehen und mit den Menschen zu sprechen, die mit einem Ort verbunden sind.“ Gern würde er mehr orts- und Kontext-bezogenen arbeiten. “Kunst mit Licht im urbanen Raum sollte von Planern und Entscheidern ernsthafter betrachtet werden, denn sie verlässt den Elfenbeinturm und stellt sich dem Leben, sie kann dabei sozial gedacht sein und identitätsstiftend wirken.”

„Licht ist ein Medium, mit dem ich mich schon viele Jahre und in vielen Formen befasse … technisch, gestalterisch und künstlerisch. Und obwohl ich das Licht inzwischen ein wenig verstehe, gibt es immer wieder Neues und Anderes zu entdecken, das mich überrascht. Im Prinzip geht es nur darum ALLES mit wachem Auge nochmal zu sehen und zu entscheiden, was es wert ist weiter bearbeitet zu werden“. Ingo Wendt bezieht sich auf die Eigenschaften des Lichts – auf Reflektion und Absorption, auf Lichttemperatur und Farbwiedergabe. Statt der Lichtwerkzeuge steht die Gestaltung des Lichts als bildgebendes Medium im Mittelpunkt seiner Arbeiten. „Meine Arbeiten entstehen, wenn konkretes, materielles Experimentieren und das Schauen und das Denken in einem guten Flow sind. Wenn es mir nichts ausmacht, immer weiterzumachen und zu wiederholen und es wieder anders zu machen und so weiter. Ich kann es schon im Tun spüren, wenn es gut werden kann.“


PASSAGEN Köln 2007. Photo: Ingo Wendt.
LICHTUNGEN Hildesheim 2015. Photos: Sara Förster.

So entstanden in den letzten Jahren viele Arbeiten, darunter ein „Leuchtturm“ zu den PASSAGEN in Köln 2007. Dessen Bildwelten erinnern an die „liquid-light-shows“ der 1960er und 1970er Jahre, ebenso wie eine Reihe von Ingo Wendts Arbeiten aus den letzten Jahren. Barbara Bell schrieb für die New York Times 1969 einen Artikel mit dem Titel “You Don’t Have to Be High”: Sie beschrieb die Show als „Erdbeerfelder, Kalkgärten, antike Juwelen, Galaxien des Lichts über einer reinen schwarzen Leere und oft abstrakt, erotisch, völlig absorbierende Formen und Farben zur Freude daran – jede eine Vision eines Augenblicks, eingehüllt in und um große Klangwellen.“ Und über die Besucher_innen: „… die Nachtschwärmer taumeln geblendet hinaus und murmeln vor sich hin über Amöben in farbigem Wasser.” _4.

Der Künstler hinter den „liquid-light-shows“ im „Fillmore East“ in East Village ist Joshua White (*1942). Er experimentierte mit Wasser, Öl und Farbe, mit Dia und Filmfragmenten auf Projektoren. Und er lieferte den Background für die größten musikalischen Acts der späten Sechziger Jahre wie The Grateful Dead, The Who, Jefferson Airplane oder The Doors. 1967 fanden die ersten Life-Projektionen statt zu Konzerten von Frank Zappa, Vanilla Fudge, Ravi Shankar, 1968 folgten Albert King, Janis Joplin oder Jimi Hendrix. Auf die Shows im „Fillmore East“, folgten Engagements in Woodstock, in der Carnegie Hall und dem Lincoln Center. Seit Beginn der 2000er Jahre gibt es eine aktualisierte Variante der legendären Lichtbilder mit Aufführungen in der Tate Liverpool, das Centre Pompidou, das Whitney Museum, MOCA u.a. „Stimmt“, sagt Ingo Wendt, „… die Joshua Light Shows sind wunderbar, die haben in den 70ern Rockkonzerte mit Rückpro-Performances bebildert. Ihr Setup ist mir sehr nahe. Die Dinge sind greifbar, die Bilder aber auch geheimnisvoll“.

Und er ergänzt: „Witzig finde ich z.B. auch die unverkrampfte Arbeitsweise von GRUPPO N. Sie zeigen mir das Kunst nicht zwangsläufig den Ballst eines schweren Konzeptes oder eines interpretatorischen Hintergrundes mit sich herumtragen muss. Die Arbeiten aus jener Gruppe haben für mich eine spielerische Leichtigkeit“ GRUPPO N gehört zu den Künstler-Kollektiven, die nach dem Zweiten Weltkrieg, die Kunst neu erfinden wollten. 1959 schlossen sich die jungen Künstler Alberto Biasi (*1937), Ennio Chiggio (*1938), Toni Costa (*1935), Edoardo Landi (*1937) und Manfredo Massironi (*1937) zur GRUPPO N zusammen.

Gemeinsam waren sie international auf Ausstellungen präsent: 1962 in Zagreb, 1963 im Studio F in Ulm, 1964 auf der Biennale in Venedig. 1965 wurden sie von dem Kurator William C. Seitz zu der Ausstellung “The Responsive Eye” im MOMA in New York City eingeladen. Seitz wählte 75 Künstler_innen aus zehn Ländern aus, die sich damit auseinandersetzten wie das menschliche visuelle System mit Farbe und Muster sowie mit Licht in Zeit und Raum interagiert. Der deutsche Künstler Carsten Nicolai hat die Ausstellung 2011 rezensiert: “Rückblickend waren es die innovativen und präzisen Praktiken dieser Künstler, die die künstlerische Freiheit erweiterten. Sie bereiteten den Boden für künstlerisches Denken und Handeln, den viele Künstler heute (einschließlich mir selbst) so nutzen, als wäre es schon immer da gewesen. Die Idee, Forschung, Prozess und Experiment aus dem Studio (dem Labor) in die Ausstellungszonen der Ausstellungsbereiche zu verlagern, zeigt vielleicht, was Künstler (und Kuratoren wie Seitz) überwinden wollten: die Distanz zwischen Produktion und Präsentation. Das mag wie Instabilität oder Chaos ausgesehen haben, oder etwas, das der Idee einer klassischen Kunstgeschichte oder des Museums entgegengesetzt schien. Doch wahrscheinlich war die Idee dahinter, mehr Leben sichtbar zu machen und Kunst greifbarer denn je zu machen.“ _4.

GRUPPO N und GRUPPO T in Italien, ZERO in Deutschland, GRAV in Frankreich und Lateinamerika, LIGHT AND SPACE in den USA waren Künstler-Kollektive, die die künstlerische Forschung und Praxis zu Licht als Medium von Wahrnehmung und Gestaltung intensivierten. Ihre Arbeiten begleitete den Prozess der Digitalisierung, im Zuge dessen dem Licht als bild- und wahrnehmungs-prägendem Medium neue Bedeutung zuwuchs. Heute gilt physikalisches Licht als der Innovationstreiber des 21. Jahrhunderts.

Ingo Wendt liebt, seine Begeisterung mit dem Publikum zu teilen. Ich habe ihn in einer Reihe von Ausstellungsprojekten erlebt und immer war er einer der wenigen, die ihrer Kunst fast ununterbrochen zur Seite standen. Er ist nicht nur Künstler, er ist auch Kunstvermittler. Er sucht das Gespräch mit den Besucher_innen, er erklärt seine technischen Aufbauten oder wie das Licht funktioniert oder die Prinzipien der menschlichen Wahrnehmung. Und er fragt viel, nach Eindrücken, nach Ideen und Assoziationen. „Ohne Publikum sind wir als Künstler doch sehr einsam. Ich genieße den Kontakt zum Publikum, und unser Medium macht es uns leicht denn es bietet einen leichten Eingang, auch für Kinder und Kunstferne. Ich freue mich, wenn Besucher mit mir über ihre Erfahrungen, Assoziationen und Reaktionen sprechen. Und natürlich ist es wunderbar, wenn sie begeistert sind, sehr schön ist es aber auch wenn sie einfach ein wenig Zeit mit den Arbeiten verbringen“.

Er hätte sich sicher gern dem Manifest Proletkunst, das Kurt Schwitters 1923 zusammen mit Hans Arp, Theo van Doesburg, Tristan Tzara and Chr. Spengemann verfasste, angeschlossen: „Eine Kunst, welche sich auf eine bestimmte Klasse von Menschen bezieht, gibt es nicht, und wenn sie bestehen würde, wäre sie für das Leben gar nicht wichtig.“ _5 war der einleitende Satz. Wer Ingo Wendt kennt, weiß um sein soziales Engagement, seine gesellschafts-kritische Aufmerksamkeit und seine Engagement-Bereitschaft. In seiner Haltung zur Welt profitiert er noch immer von den Denkfiguren und Handlungsanweisungen der 1980er Jahre: „Eigentlich bin ich ziemlich kritisch, aber das verheddert sich oft mit meinem Wunsch nach Freundlichkeit und Harmonie. Ich würde eigentlich gern einen guten Weg finden, meine Kritik mehr zu thematisieren und in die Welt zu tragen …“, sagt er im Interview.

Es schwingt etwas Nostalgie mit, wenn Ingo Wendt sagt: „Ich wäre gern wieder subversiver … manchmal scheint es mir, als wenn weite Teile meines politischen Bewusstseins in den letzten Jahrzehnten auf der Strecke geblieben sind“. Was meint er damit? Geht es um künstlerische Praktiken, die den tradierten Kunstbegriff in Frage stellen? Oder darum das Verhältnis von Kunst und Öffentlichkeit neu auszutarieren? Oder darum gegen die Durchsetzungskraft politischer Gewohnheiten und ökonomischer Systeme Position zu beziehen? Geht es darum das herrschende System mit allen Mitteln der Kunst bekämpfen so wie wir es aus den Konzepten von Dada, Surrealismus oder Fluxus kennen? Was bedeutet Subversion in einer Zeit, in der die Verhältnisse so instabil sind wie schon lange nicht mehr?

Ingo Wendt benutzt den Begriff „subversiv“ so wie auch ich ihn aus den 1980er Jahren gut kenne: Wir waren um die 20 Jahre alt, wir waren mit den neuen sozialen Bewegungen groß geworden und wir waren Teil der Hunderttausenden, die dazu beitrugen, das partizipatorische Engagement in der politischen Kultur Deutschlands zu stärken. Die Themen der neuen sozialen Bewegungen wie Krieg und Frieden, Ökologie und Zukunftsfähigkeit, das Nord-Süd-Gefälle und die Geschlechterdifferenzen oder die Vertäuungen von Politik und Wirtschaft sind noch immer aktuell. Manche Hoffnungen haben sich erfüllt, andere sind weiterhin in der Warteschleife.

In der Zwischenzeit wurde das subversive Formenvokabular zum Stilmittel. Street Art, Pop-up Stores und Guerilla Marketing sind nicht mehr abwegig. Flash mops, großformatige Projektionen im öffentlichen Raum und partizipative Kunstaktionen kommen ohne jede Dissidenz aus. Das neue „schön“ ist schräg, provokativ und radikal, „off“ und „on“ haben die Rollen getauscht. Aus subversiven Formaten sind schöne, leere Hüllen geworden. In dieser Situation schreibt der Philosoph Marcus Steinweg der Kunst die Suchbewegung ins Pflichtenheft: „Es gibt eine Freundschaft von Kunst und Philosophie, und wir können natürlich sagen, das ist ganz unterschiedlich, aber ich glaube, es gibt eben etwas Elementares, was Kunst und Philosophie verbindet. Es geht darum, sich in der Orientierungslosigkeit zu orientieren. Das heißt, in unserer überkomplexen Realität mit künstlerischen Mitteln oder eben mit philosophisch-sprachlichen Mitteln“_ 6. In diesem Sinne freue ich mich auf mehr Arbeiten von Ingo Wendt, in Künstlerhäusern und Kunstvereinen, in Galerien und Museen. Und natürlich zu den vielen freien Projekten zu Licht in der Bildenden Kunst, von denen ich einige selbst kuratiere. _7

Text zur Ausstellung im Saarländischen Künstlerhaus vom 17. Januar bis zum 10. März 2019.

QUELLEN

1 _ Bettina Pelz: Interviews mit Ingo Wendt vom 13. bis 26. Januar 2019.

2 _ Christa Spatz: Stillstand gibt es nicht _ Vor 80 Jahren wurde der Bildhauer Jean Tinguely geboren. Auf: Deutschlandfunk Kultur: Kalenderblatt / Archiv: Beitrag vom 22.05.2005
URL https://www.deutschlandfunkkultur.de/stillstand-gibt-es-nicht.932.de.html?dram:article_id=128981, eingesehen am 12. Januar 2019.

3 _ Greg Zinman: Joshua Light Show 1967-1968. Published 2012. Auf: Joshua Light Show – Website 2019.
URL http://www.joshualightshow.com/about-classic/joshua-light-show-1967-68, eingesehen am 15.1.209.

4_ Carsten Nicolai: The Responsive Eye _ Beyond what we call “Art”. Flashart Online _ Issue 277 _ March-April 2011.
Übersetzung: Bettina Pelz mit Unterstützung von deepl.com.
URL https://www.flashartonline.com/article/the-responsive-eye/, eingesehen am 15.1.2019.

5_ Hans Arp, Theo van Doesburg, Tristan Tzara and Chr Spengemann: Manifest Proletkunst. Auf: DADA Manifestos.
URL http://www.dada-companion.com/manifestos/1923_manifestos_proletkunst.php, eingesehen am 11.1.2019

6_ Joachim Scholl: Philosoph Marcus Steinweg _ Kafka und der Drehtür-Effekt _ Marcus Steinweg im Gespräch mit Joachim Scholl. Deutschlandfunk Kultur / Lesart / Beitrag vom 16.1.2017. Das Interview im Wortlaut.
URL http://www.deutschlandfunkkultur.de/philosoph-marcus-steinweg-kafka-und-der-drehtuer-effekt.1270.de.html?dram:article_id=376479, eingesehen am 1. Mai 2018.

7_ Dank an Britta Hölzemann für das Lektorat.

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